Sobotka, Bassam Tibi

Antisemitismus: „Keine Toleranz den Intoleranten!“

Österreich
05.05.2019 06:00

Bassam Tibi fordert einen radikaleren Kurs des Staates gegen „zugewanderten Antisemitismus“. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) holte den streitbaren Professor als Gedenkredner. Die „Krone“ hat die beiden zum Interview getroffen.

Es ist der Abend vor seiner Gedenkrede im Zeremoniensaal der Hofburg. Gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka isst der deutsch-syrische Professor Bassam Tibi in einem Wiener Hotel zu Abend.

„Krone“: Die ersten Maitage stehen alljährlich im Zeichen des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Beim Gedenken des Parlaments warnen Sie vor zugewandertem Antisemitismus. Wie soll man diesem begegnen?
Tibi: In Berlin findet jedes Jahr nach dem Fastenmonat Ramadan ein Jerusalem-Tag statt. Dort rufen Tausende „Mord den Juden“ und „Juden ins Gas“. Es gibt bisher kein einziges Ermittlungsverfahren und keine einzige Verhaftung. Die Milde, mit der insgesamt gegen den zugewanderten Antisemitismus vorgegangen wird, muss aufgegeben werden. Ich fordere einen radikaleren Kurs vonseiten des Rechtsstaates.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass ein neuer Antisemitismus in Österreich und in Europa aufkeimt?
Sobotka: Verglichen mit anderen europäischen Staaten hat Österreich eine gute Ausgangssituation. Ein Rabbiner hat mir erzählt, dass es in Paris keine fünf Minuten dauert, bis er antisemitisch angesprochen oder attackiert wird. In Deutschland dauert es 30 Minuten. In Österreich ist ihm das in 25 Jahren nicht passiert. Das darf uns aber nicht in Sicherheit wiegen.

Kürzlich hat das Parlament eine Studie präsentiert, die Österreich zehn Prozent manifesten Antisemitismus ausweist. Besonders tief verwurzelt sei dieser bei türkisch und arabisch Sprechenden. Was kann dagegen getan werden?
Sobotka: Sowohl dem traditionellen als auch dem importierten Antisemitismus muss der Nährboden entzogen werden. Antisemitismus ist antidemokratisch, rassistisch, fremdenfeindlich und gesellschaftlich ein Synonym für eine autoritäre Haltung. Dem kann man nur mit einer demokratischen Grundhaltung und Offenheit begegnen.

Sie sind als Antisemit nach Europa gekommen. Was hat Sie zum Umdenken bewogen?
Tibi: Mein Glück war, dass ich bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno studiert habe. Beide waren Juden, Überlebende des Holocaust. Sie haben mich vom Virus des Antisemitismus befreit.

Heute feiern wir den Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen. Sie warnen auch vor einem neuen Holocaust. Ist das denkbar?
Tibi: Europa hat trotz aller Mängel vom Holocaust gelernt. Wenn dieser sich wiederholt, dann im Nahen Osten, weil dort der Antisemitismus virulent ist.

Eine Erhebung bescheinigt jungen Menschen massive Wissenslücken zum Holocaust. Ist es damit getan, dass alle Schüler Mauthausen besuchen, wie es Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP) vorschlägt?
Sobotka: Ich glaube, dass es notwendig ist, jungen Leuten unsere Geschichte näherzubringen und die Verfehlungen der Geschichte deutlich zu benennen. Zur Aufklärung schweben mir auch Wertekurse in der Schule vor. Aber auch Familie, Vereine und Betriebe sind in der Pflicht. Man muss Antisemitismus entgegentreten. Egal ob am Stammtisch, auf der Straße oder am Sportplatz.
Tibi: Wenn Schüler nicht bereit sind, sich mit dem Holocaust, der im Mord von sechs Millionen Juden gipfelte, auseinanderzusetzen, dann ist das alarmierend. In der Schule ist nicht erlaubt, was in der Moschee erlaubt ist. In der Moschee wird Antisemitismus verbreitet.

Was passiert, wenn Europa Muslime nicht integriert?
Tibi: Weil es Völkerwanderungen aus der Welt des Islam gibt, wird sich Europa verändern. Ich bin Moslem und Migrant und habe in Europa das genossen, was es in meiner Heimat Syrien nicht gibt: Freiheit. Ich möchte, dass Europa ein freier Kontinent bleibt. Wenn die Scharia in Europa zugelassen wird, bedeutet das das Ende von Europa.

Wie bewerten Sie, dass sich die Regierung dem Kampf gegen den politischen Islam verschrieben hat?
Tibi: Die österreichische Regierung weiß mehr über den politischen Islam als die deutsche. Ich begrüße, dass die Auslandsfinanzierung von Islamverbänden untersagt, radikale Imame ausgewiesen und Kopftücher für Mädchen verboten werden.
Sobotka: Ab 2020 soll es eine Dokumentationsstelle für politischen Islam geben. Dass sich im Schutze der Toleranz ein politischer Islam etabliert, ist inakzeptabel. Es darf keine Toleranz gegenüber Intoleranten geben. Ziel ist ein europäischer Islam, der klar zwischen Staat und Kirche trennt und Gesetze akzeptiert.

Sandra Schieder, Kronen Zeitung

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